Bernhard Krumpel: Demokratie ist harte Arbeit
Berufsbedingt habe ich viel mit Journalisten zu tun. Auffallend ist, dass im entspannten Gespräch über die Welt und das Leben generell, zunehmend Kritik geübt wird, dass Spitzenpolitiker das Gespräch mit einem Medium grundsätzlich verweigern, Interviewanfragen schlichtweg nicht beantwortet werden. Ist „keine Zeit haben“ eine intelligente Kommunikationsstrategie? Ich meine Nein. Gut vorbereiten wäre besser – und auch im Sinne der Demokratie.
Gleich vorneweg: wer meint, dass hier nur Politiker einer Partei gemeint sind, der irrt. Denn aktuell erleben wir zielgruppenfokussierte Kommunikation in einem zunehmenden Ausmaß. Bei Unternehmen ist dies üblich und auch in Ordnung. Politik hingegen wird durch Steuern und Abgaben der Allgemeinheit finanziert. Deshalb gelten hier andere Maßstäbe. Worum geht es dabei in aller Kürze: Bei zielgruppenfokussierter Kommunikation orientiert sich das Unternehmen an der Menschengruppe, die es erreichen möchte. Die Kernbotschaften werden in unterschiedlicher Art – passend zu den verschiedenen Kanälen – ausgesendet. Die Medien werden analysiert und ideal zur Zielgruppe ausgewählt. Dabei ändert sich zwar die Gestaltung, die Kernaussage bleibt immer gleich.
Es hat sich zunehmend der kurzsichtige Trend durchgesetzt, Kommunikationsmodelle, die in der Wirtschaft gelebt werden, auf die Politik umzulegen. Ist auch ein bequemes Modell nur in eine Echokammer zu sprechen, die einem am nächsten ist. Der große Unterschied ist allerdings, dass es bei Unternehmen zumeist um Produkte, Innovationen oder Positionen geht. Unternehmen müssen wirtschaftlich agieren, um überleben zu können und fokussieren sich deshalb zumeist auf eine eingeschränkte (Käufer-)Gruppe. In der Politik hingegen geht es um die Gesellschaft, um die Zukunft und die Frage, wie wir Positionen austauschen. Dazu gehört auch, mit Medien zu reden, die als kritisch gelten, die hart fragen. Am deutlichsten wird die mangelnde Bereitschaft ersichtlich, wenn etwa Armin Wolf in der ZIB2 verliest, wer aller eingeladen war, aber nicht gekommen ist.
Bild am Sonntag & Baerbock
Natürlich gab es die Zielgruppenfokussierung schon immer. Diese ist für eine effiziente politische Medienarbeit notwendig. Denn einem hart arbeitenden Politiker fehlt aufgrund der Medienvielfalt mittlerweile schlichtweg die Zeit, sich für allen Medienanfragen offen zu zeigen. Allerdings über Monate für reichweitenstarke Medien keine Zeit zu finden, ist mehr als sonderbar und deutet auf mangelndes Demokratieverständnis hin. Oder Bequemlichkeit.
Die deutsche Tageszeitung BILD hat sich kürzlich zu einem seltenen Schritt entschlossen. Nachdem die grüne Kanzlerkandidatin Baerbock ein wochenlang angefragtes Interview aus Zeitgründen abgelehnt hatte, titelte die Bild am Sonntag „Das ist ihre Seite, Frau Baerbock“ und druckte eine leere Seite ab.
Politik ist für alle da. Genauso wie Demokratie.
Die wirtschaftlichen Sorgen von Unternehmen haben Parteien nur beschränkt. Die inflationsangepasste Parteienförderung macht möglich, dass Parteien frei arbeiten können – und das ist gut so. Also sollen Steuergelder auch dazu verwendet werden, dass ein Politiker bereit ist, allen Staatsbürgern Rede und Antwort zu stehen. Dabei spielen Medien eine wichtige Rolle. In seinem Buch „Politik als Beruf“ (1919) bezeichnete Max Weber Politik als „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“. Zu Leidenschaft und Augenmaß gehört auch die Bereitschaft offen mit Medien umzugehen.
Gefahr: Echokammer
Denn die Gefahr der Echokammer lauert nicht nur in den sozialen Medien. Das monatelange Verweigern von Interviews „kritischer“ Journalisten führt dazu, dass der Sinn für Realität darunter leidet. Die Allgemeinheit wird nicht mehr mit den Botschaften erreicht, sondern nur diejenigen, die ohnehin weitestgehend gleicher Meinung sind. Die dann rückmelden, dass die Parteiposition super ist. Darunter leidet der Diskurs, die Weiterentwicklung von Ideen, die eigene Persönlichkeit, die politische Kontur. Die Medien selbst machen – meiner Wahrnehmung nach – diese Verweigerungshaltung kaum publik, die deutsche „Bild am Sonntag“ war eine Ausnahme.
Kommunikationsbaustelle: Fehlende Impfkampagne
Da sich die politische Kommunikation nur mehr auf die eigenen Wählergruppen fokussiert, wird verständlich, warum wir bei der Impfquote so hinterherhinken. Nicht nur mich ärgert, dass der Sommer vom Gesundheitsministerium scheinbar wieder verschlafen wurde. Statt sich zu überlegen, wie Zielgruppen erreicht werden, die einen geringen klassischen Medienkonsum aufweisen, wurde spürbar nichts gemacht. Dabei ist es erfahrungsgemäß von Vorteil, diejenigen anzusprechen, die noch nicht geimpft sind. Denn nicht alle sind strikte Impfverweigerer. Dafür wäre es sinnvoll gewesen, vorab evidenzbasiert zu recherchieren, wie man diese Zielgruppe erreicht. Statt Information soll nun die Keule kommen. Ob das gesellschaftspolitisch klug ist, wage ich zu bezweifeln. Auch als Geimpfter.
Er zählt in Österreich zu den besten Kommunikationsexperten. Die Rede ist vom PR-Profi und Politik-Insider Bernhard Krumpel (49). Sein Motto: „Always stay focused“. Klaren Fokus benötigte er unter anderem bei seinen komplexen Jobs für Politiker, Ministerien und Konzerne. Neben seiner Beratungstätigkeit gibt der Wirtschaftssoziologe gerne sein Wissen an Studenten weiter. Er ist Verfasser von Fachartikeln, wie etwa zur Aktionärsrechte-Richtlinie und deren Auswirkung auf die Unternehmenskommunikation, sowie Mitherausgeber von drei Buchbänden mit dem Titel „Spezialgebiete der PR“.
Kommentare
Ja, für Demokratie im Sinne von Ulbricht ist es harte Arbeit, es wie Demokratie aussehen zu lassen.
Die Propaganda müsste noch optimiert werden, damit die Leute nicht mehr klar denken können. Wenn das gelingt, wird es als Demokratie wahrgenommen.
Dann übersieht man auch, dass einzelnen Ministern und Bürgermeistern offenbar Befugnisse wie einem Fürsten zugesprochen worden sind. Der STaat gehört offenbar den Parteien und nicht dem Staatsvolk.
Die verwechseln die Republik mit einem Erziehungslager und die Bürger als ihre Leibeigenen. Mit Regelungen bis in den Privatbereich hinein.
Es ist unfassbar, dass das möglich ist.
die Darstellung insinuiert, das Management (insbesondere bei Corona und der Impfung) sei gut, nur die Kommunikation lasse zu wünschen übrig. Nun können natürlich immer Fehler passieren – gerade in so einer schwierigen Situation. Aber wenn ich dann einen Herrn Kocher sehe, der sich allen Ernstes vor die verzweifelten Eltern von quarantänierten Schülern hinstellt und ihnen erklärt, die Sonderbetreuungszeit gelte erst ab Oktober (was er am Folgetag widerrufen musste, weil ihm offenbar irgendwer kräftig in den A…. getreten hat), dann wird klar, dass der Sommer nicht nur kommunikationstechnisch verschlafen wurde.
Im Juni hat man sich offenbar für den Projektmanagement-Klassiker “Schauma amoi dann segnmas scho” mit Blick auf den Herbst entschieden, den Leuten ein bisserl more of the same (Nasenbohrertests und Quarantäne in den Schulen) als “Konzept” des Unterrichtsministeriums verkauft und jetzt wo die Corona-Zahlen – oh Wunder – steigen, lässt man die Mücke surren. Der fällt nach langer Nachdenkpause ein, dass man wieder Masken tragen könnte…. wie originell.
Ganz ehrlich, Herr Krumpel, bei soviel medienpräsenter Inkompetenz darf sich doch keiner mehr wundern, dass die Leute die Corona-Botschaften der Regierung nicht flächendeckend positiv annehmen. Das gilt natürlich auch für die Impfung.
Es wird hier nicht zu wenig kommuniziert sondern zuviel. Das vielleicht ungewollt. Aber im Sinne von Watzlawick (“one cannot not communicate”) offenbart diese ungewollte Kommunikation die Unfähigkeit und löst klarer Weise Skepsis aus – das ist das Problem. Nicht die Verweigerung eines Interviews.
Ganz ehrlich