Russlands neuer diplomatischer Trick? Lawrow wendet sich mit Poesie an Westen
Nun richtet sich Russlands Außenminister mit Worten des russischen Nationaldichters Puschkin an den Westen. Das Gedicht, das er rezitiert, ist vor bald 200 Jahren entstanden, als Russland gerade den großen Aufstand in Polen niedergeschlagen hat.
Fehlendes Geschichtsbewusstsein kann man Russland nicht vorwerfen. Kein Wunder, schließlich ist die russische Literatur mit imperialer Propaganda geradezu durchtränkt. Daran erinnert nun Putins Außenminister Sergej Lawrow. Mit einem nationalistischen und anti-polnischen Puschkin-Gedicht wendet er sich in einem Video an US-Präsident Joe Biden und an die Staatschefs der EU. Die fast 200 Jahre alten Verse, die er vorträgt, sind tatsächlich unter nicht ganz unähnlichen Umständen entstanden.
Puschkin mahnte die Franzosen, sich aus Konflikt mit Polen herauszuhalten
„Was lärmt Ihr, Volksredner, in schwindelnder Betörung?
Was flucht und drohet Ihr dem heil’gen Russenland?
Was hat Euch so erregt? des Polenlands Empörung?“,
fragte 1831 der russische Nationaldichter Alexander Puschkin (1799 bis 1837) spöttisch die Franzosen. Die Zeilen entstanden während des polnischen Novemberaufstands (1830/1831), der größten Erhebung in Polen um die Unabhängigkeit vom Russischen Kaiserreich zu erlangen. Damals verlangten einige Mitglieder des französischen Parlaments ein bewaffnetes Eingreifen Frankreichs auf der Seite Polens. An diese Politiker wandte sich der russische Dichter.
Aus Russlands Sicht ein Streit unter Slawen
Es ist klar, worauf Lawrow hinaus will, wenn er ausgerechnet jetzt die ersten Zeilen jenes Gedichts zitiert. Der Tenor: Der Westen soll sich heraushalten.
Puschkin erklärte damals, der Aufstand gehöre aus russischer Sicht zu einem jahrhundertealten Streit unter Verwandten. Er forderte die Franzosen auf, die Slawen in Ruhe zu lassen, da der Ausgang dieser Streitigkeiten letztlich nur von den Slawen selbst entschieden werden könne.
Lavrov reads Pushkin's poems, addressing them to Biden and EU leaders.
— Anton Gerashchenko (@Gerashchenko_en) November 2, 2022
"Why do you threaten Russia with anathema?"
New tricks of Russian diplomacy? pic.twitter.com/O5Kme5OOga
Puschkins Verse ernteten in Russland auch Kritik
In einer deutschen Übersetzung der Verse klingt das so:
„Schweigt! Diese Frage löst nicht Euer Unverstand;
Es ist ein alter Streit im slawischen Geschlechte,
Und keines Fremden Blick entscheidet hier das Rechte.“
Das fordert Moskau auch von Europa: Der Konflikt mit der Ukraine gehe Europa und den Westen nichts an. Der Kreml erklärt ihn zur internen Angelegenheit, von der Außenstehende nichts verstünden.
Puschkins Gedicht wurde damals in der russischen Gesellschaft unterschiedlich aufgenommen: Regierung und Nationalisten lobten es in den höchsten Tönen, die liberale Intelligenz kritisierte es.
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